Nicht jedem einzelnen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft steht Beratungshilfe zu
Sachverhalt
Die Rechtssuchenden und der Rechtssuchende des Verfahrens 1 BvR 1120/11, bilden mit ihren gemeinsam sorgeberechtigten Eltern eine Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 3 SGB II.
Das Jobcenter stellte jeweils ein Recht von ihnen und ihren Eltern auf vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II fest.
Daraufhin wurde ein Rechtsanwalt aufgesucht. Dieser erhob Widerspruch gegen den Bescheid und beantragte gleichzeitig beim Amtsgericht Weimar im Namen jedes einzelnen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft die Gewährung von Beratungshilfe.
Die Rechtspflegerin lehnte den Antrag ab, soweit andere Personen als der Vater Beratungshilfe begehrt hatten.
Sie begründete die Ablehnung der weiteren Beratungsscheine damit, dass der Vater den Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gestellt. Somit könne einzig ihm Beratungshilfe bewilligt werden.
Auf die Erinnerung hin, der die Rechtspflegerin nicht abgeholfen hatte, gewährte das Amtsgericht Weimar auch der Mutter Beratungshilfe.
Im Übrigen wies sie den Rechtsbehelf zurück.
Die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft seien zwar jeweils Inhaber eines Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II.
Dies bedeute jedoch nicht, dass alle Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft, insbesondere minderjährige Kinder, einen eigenen Anspruch auf die Gewährung von Beratungshilfe haben müssten. Diese Kinder bedürften weder einer rechtlichen Beratung noch würden sie eine solche in Anspruch nehmen. Die Entscheidung über die Geltendmachung und Durchsetzung der Ansprüche würden alleine die Eltern im Rahmen der gesetzlichen Vertretung treffen. Beratungshilfe könne demzufolge minderjährigen Kindern, die Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft seien, nicht bewilligt werden.
Im Verfahren 1 BvR 1121/11 ist die Rechtsuchende zu 1) die Mutter der Rechtsuchende zu 2).
Beide leben mit H. in einem Haushalt und bilden mit ihm eine Bedarfsgemeinschaft.
Auch Sie beauftragten einen Rechtsanwalt wegen der Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch. Auch dieser beantragte beim Amtsgericht Weimar im Namen jedes einzelnen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft die Gewährung von Beratungshilfe.
Das Amtsgericht bewilligte H. Beratungshilfe nicht jedoch für die Rechtsuchende zu 1) und ihrer Tochter.
Mit der eingelegten Verfassungsbeschwerde wird eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und 3 GG gerügt. Das Amtsgericht Weimar hätte die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf Rechtswahrnehmungsgleichheit verkannt.
Entscheidung
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Entscheidungsgründe
Das Grundgesetz verbürgt in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und 3 GG den Anspruch auf grundsätzlich gleiche Chancen von bemittelten Rechtsuchenden und unbemittelten Rechtsuchenden bei der Durchsetzung ihrer Rechte.
Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten stellt die Versagung von Beratungshilfe keinen Verstoß gegen das Gebot der Rechtswahrnehmungsgleichheit dar, wenn bemittelte Rechtsuchende wegen ausreichender Selbsthilfemöglichkeiten die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe vernünftigerweise nicht in Betracht ziehen würden.
Die Notwendigkeit rechtsanwaltlicher Beratung kann zwar verfassungskonform nicht stets und pauschal mit der Begründung verneint werden, einem anderen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch sei Beratungshilfe für ein in sachlicher und zeitlicher Hinsicht parallel gelagertes Verfahren bewilligt worden.
Nicht in Einklang mit der Verfassung steht außerdem, die generelle Versagung von Beratungshilfe für minderjährige Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft mit dem Hinweis auf die gesetzliche Vertretung gemäß § 1626 Abs. 1, § 1629 BGB durch andere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft.
Die gesetzliche Vertretung soll Minderjährigen die Teilnahme am Rechtsverkehr ermöglichen. Hierzu gehört auch die Inanspruchnahme von Beratungshilfe.
Die Auffassung des Amtsgerichts im Verfahren 1 BvR 1120/11 führte demgegenüber zu einer Ungleichbehandlung, die nicht durch hinreichende Gründe gerechtfertigt ist, und damit zu einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz.
Zur Wahrnehmung ihrer Rechte haben Minderjährige daher grundsätzlich einen Anspruch auf Gewährung von Beratungshilfe, den sie lediglich im Wege der gesetzlichen Vertretung geltend machen.
Wenn jedoch Parallelität bezüglich der Fallgestaltung offensichtlich vorliegt, wie im vorliegenden Fall, gebietet es das Grundrecht auf Rechtswahrnehmungsgleichheit nicht, unbemittelten Rechtsuchenden auch für die Wahrnehmung ihrer Rechte in diesen weiteren, aber parallel gelagerten Fällen Beratungshilfe zu bewilligen.
Denn durch die Beratung in einem Fall werden auch sie in die Lage versetzt, ihre eigene Angelegenheit hinreichend zu beurteilen und ihre Rechte angemessen wahrzunehmen.
Aus der rechtlichen Beratung eines anderen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft und den dabei entstehenden Dokumenten lassen sich bei mehreren gleich gelagerten Begehren spezifische Rechtskenntnisse ziehen, die auch eine sonst rechtlich anspruchsvolle Materie dann ohne juristische Vorbildung handhabbar machen können.
Unbemittelten Rechtsuchenden ist es in diesen Fällen zumutbar, selbst zum Beispiel Widerspruch einzulegen; sie können auf die Ausführungen in der Angelegenheit verweisen, für die Beratungshilfe bewilligt wurde, und den Beratungsinhalt und die Unterlagen zur Grundlage ihres Vortrags machen.
Dieser Verweis auf Selbsthilfe schränkt die Rechtswahrnehmung nicht unverhältnismäßig ein, weil auch kostenbewusste bemittelte Rechtsuchende das aufgrund einer Beratung in einem parallel gelagerten Fall dann vorhandene Wissen selbstständig auf die anderen Fälle übertragen würden.
Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 08.02.2012
1 BvR 1120/11
1 BvR 1121/11
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts:
http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20120208_1bvr112011.html